Grundsätzlich besitzt jeder Arbeitnehmer einen gesetzlichen Mindesturlaub. Dieser beträgt vier Wochen gem. § 3 Bundesurlaubsgesetz. Definiert sind dort - für die 6-Tage-Woche - 24 Werktage. Wird in einem Betrieb lediglich - wie in den meisten Ingenieurbüros inzwischen üblich - an fünf Tagen in der Woche gearbeitet, so beträgt der gesetzliche Mindesturlaub 20 Tage.
Über diesen Mindesturlaub hinaus werden bereits seit Längerem zusätzliche Urlaubstage vereinbart. Derartige Regelungen finden sich nicht nur in individuellen Arbeitsverträgen, sondern insbesondere auch in Tarifverträgen.
In einer Reihe dieser Tarifverträge - insbesondere des öffentlichen Dienstes - gelten altersspezifische Urlaubsstaffelungen.
Diese hat das Bundesarbeitsgericht nunmehr durch Urteil vom 20.03.2012 - Aktenzeichen 9 AZR 529/10 - als altersdiskriminierend kassiert:
1. Der Ausgangsfall
Die bei Prozessbeginn 37 Jahre alte Klägerin ist als Angestellte mit einer regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden in der 5-Tage-Woche bei einem Landkreis beschäftigt. Für das Beschäftigungsverhältnis gilt der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst (TVöD). Dieser gewährt Beschäftigten pro Kalenderjahr bei einer 5-Tage-Woche bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Urlaubstage, bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Urlaubstage und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage. Die Klägerin begehrt für die beiden zurückliegenden Jahre jeweils einen zusätzlichen Arbeitstag, obwohl sie das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hat.
2. Die Rechtslage
Der TVöD gilt seit 2005 und hat den Bundesangestelltentarifvertrag (BAT) abgelöst unter Übernahme der altersorientierten Urlaubsstaffelung.
Mit dem am 18.08.2006 in Kraft getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetz (AGG) werden eine Reihe von EU-Richtlinien zur Anwendung des Gleichbehandlungsgrundsatzes umgesetzt. Danach sind u.a. Benachteiligungen aus Gründen des Alters in Bezug auf die Beschäftigung und Arbeitsbedingungen unzulässig. Gegen das Benachteiligungsverbot verstoßende Bestimmungen sind unwirksam (§ 7 Abs. 2 AGG). § 8 AGG erlaubt eine unterschiedliche Behandlung nur, wenn sich der Grund der Differenzierung aus der Arbeitstätigkeit als wesentliche und entscheidende berufliche Anforderung darstellt, sofern der Zweck rechtmäßig und die Anforderung angemessen ist. § 10 AGG erlaubt eine differenzierte Behandlung wegen des Alters auch, wenn mit angemessenen und erforderlichen Mitteln ein legitimes Ziel verfolgt wird.
3. Die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts
Das Bundesarbeitsgericht hat der Klägerin 30 Urlaubstage zugesprochen, obwohl sie das 40. Lebensjahr noch nicht vollendet hat. Es hat die Urlaubsstaffelung des § 26 TVöD als altersdiskriminierend angesehen. Jüngere Arbeitnehmer würden unmittelbar wegen des Alters benachteiligt. Diese Benachteiligung hat das Bundesarbeitsgericht nicht als gerechtfertigt angesehen. Der verklagte Landkreis hatte sich dahingehend verteidigt, die Altersstaffelung diene dem Schutz älterer Beschäftigter, die mit zunehmendem Alter aufgrund beruflicher Belastungen länger erkranken würden und aus diesem Grunde ein verstärktes Erholungsbedürfnis hätten. Diesen Aspekt des Gesundheitsschutzes vermag das Bundesarbeitsgericht im Tarifvertrag nicht zu erkennen. Insbesondere aus der Tatsache, dass bereits nach Vollendung des 30. Lebensjahres drei weitere Urlaubstage und dann nach Vollendung des 40. Lebensjahres letztmalig ein zusätzlicher Urlaubstag gewährt wird, lässt sich nicht ableiten, dass die Tarifvertragsparteien einen gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen und damit das Ziel verfolgen wollten, den Schutz älterer Beschäftigter sicherzustellen. Arbeitnehmer ab Vollendung des 31. Lebensjahres sind noch nicht als „ältere“ Beschäftigte zu qualifizieren. Eine tarifliche Urlaubsstaffelung, die einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen will, darf nicht schon auf die Vollendung des 30. bzw. 40. Lebensjahres abstellen und die Zeit danach bis zum Erreichen des gesetzlich festgelegten Rentenalters keine weitere Staffelung mehr enthalten. Wenn derartige Ziele verfolgt werden sollten, hätte es nahegelegen, für ältere Beschäftigte über 50 oder über 60 die Dauer des Erholungsurlaubes zu verlängern.
Die Diskriminierung kann nach Auffassung des Bundesarbeitsgerichtes nur dadurch beseitigt werden, dass eine Anpassung „nach oben“ erfolgt. Da diskriminierende Maßnahmen nicht hingenommen werden dürfen und ihre Fortwirkung nicht akzeptiert werden darf, ist nicht auf die Eingangsstufe des § 26 TVöD mit 26 Urlaubstagen abzustellen, weil dies für den Arbeitgeber keine abschreckende Wirkung haben würde.
4. Fazit
Das Bundesarbeitsgericht macht – auch für das Urlaubsrecht – ernst mit dem Diskriminierungsschutz. Die Entscheidung zeigt, dass nicht nur ältere, sondern auch jüngere Arbeitnehmer als schutzbedürftig angesehen werden. Sachliche Gründe für differenzierte Behandlungen werden an strengen Maßstäben gemessen. Das 30. und 40. Lebensjahr waren in der Tat nicht geeignet, ein gesteigertes alterspezifisches Erholungsbedürfnis zu rechtfertigen. Der alte Jugendspruch „Trau keinem über 30“ gilt jedenfalls nicht im deutschen Urlaubsrecht. Das Ergebnis ist frappierend. Demnach besitzen derzeit alle Beschäftigten des öffentlichen Dienstes, auf die der TVöD Anwendung findet, einen 30-tägigen Urlaubsanspruch. Allerdings gilt ab 2013 eine Neuregelung des TVöD, wonach alle Beschäftigten unterhalb von 55 Jahre 29 Arbeitstage und ab dem 55. Lebensjahr 30 Urlaubstage erhalten. Die Tarifvertragsparteien des öffentlichen Dienstes haben diese neue Regelung wenige Tage nach der Entscheidung des Bundesarbeitsgerichtes vereinbart, obwohl zu diesem Zeitpunkt erst eine Presserklärung vorgelegen hat. Bei dieser Regelung gehen die Tarifvertragsparteien übereinstimmend davon aus, dass sie durch einen entsprechend höheren Erholungsbedarf der Beschäftigten nach dem vollendeten 55. Lebensjahr gerechtfertigt ist. Dies haben die Tarifvertragsparteien in einer entsprechenden Erklärung zum Tarifvertrag ausdrücklich niedergelegt.
Der gleiche strenge Prüfungsmaßstab gilt im Übrigen nicht nur für tarifvertragliche Altersstufenregelungen, sondern auch für arbeitsvertragliche Altersstufen, sofern sie jedenfalls derart „junge“ Schwellenwerte enthalten.
(veröffentlicht im Deutschen Ingenieurblatt Heft 1-2/2013)